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Digitalisierung im Unterricht - Notizen aus der Schulpraxis

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Immer noch und immer wieder wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, Schulleitungen und Lehrkräfte seien nicht in der Lage, den in Pandemiezeiten notwendigen Online-Unterricht umzusetzen.

Die Vorwürfe reichen von Unbeweglichkeit über Inkompetenz aufgrund des hohen Alters der Lehrkräfte bis hin zu deren Faulheit. Dabei wird auch auf die noch nicht abgerufenen Gelder verwiesen, die der Bund für die Digitalisierung der Schulen bereitgestellt hat.

Aus Sicht der Vereinigung von Schulleiterinnen und Schulleitern in Baden-Württemberg (VSL) sieht die Wirklichkeit anders aus. Die nachfolgenden Beispiele belegen diese Wahrnehmung:

Motivation und Eigeninitiative der Schulleitungen und Lehrkräfte

Die meisten Schulen kommen mittlerweile sehr gut mit digitalen Medien zurecht und haben bereits vieles in Eigenregie auf den Weg gebracht. Digitale Endgeräte gehören mittlerweile ebenso wie digitale Tools selbstverständlich zum Berufsalltag in allen Schularten.

Gerade auch im Hinblick auf den Einsatz digitaler Medien für das sogenannte Homeschooling war und ist jedoch ein hohes Maß an Kreativität an den einzelnen Schulen erforderlich, da die Schulen von der Kultusverwaltung hierfür nahezu keine fachliche Unterstützung erwarten können.

Auch in den Grundschulen gibt es sehr viele Lehrkräfte, denen trotz „Fernunterricht“ der Kontakt mit ihren Schüler*innen wichtig ist und sie diese zu einer täglichen Videokonferenz einladen. Dies wird von den Eltern und vor allem den Kindern sehr geschätzt. Diese Videokonferenzen werden von den Lehrkräften mit eigens dafür angeschafften und privat finanzierten digitalen Endgeräten durchgeführt.

Die Lehrkräfte bilden sich in der Regel autodidaktisch mit hohem zeitlichem Aufwand fort. Der kollegiale Austausch spielt hier eine bedeutende Rolle. Angebote in der Lehrerfortbildung sind hingegen Mangelware.

Bürokratische und technische Hürden verhindern die Eigenständigkeit der Schulen

Durch umständliche bürokratische Hürden ist es z.B. nahezu aussichtslos, eine sonst digital sehr gut ausgestattete Schule mit einem Glasfaseranschluss auszurüsten, was das nachfolgende Beispiel exemplarisch aufzeigt:

Im Mai 2020 gab es durch den Bund einen Sonderaufruf „Glasfaseranschluss für Schulen“. Voraussetzung ist die Beratung durch eine externe Agentur. Das Ergebnis nach mehreren Wochen Runder Tisch mit der Stadtverwaltung und der Agentur: Die Schule ist nicht förderfähig, da auch die umliegenden Straßen unterversorgt sind. Die kontaktierte Stelle „Breitbandförderung BW“ verweist an den Zweckverband „Breitband Landkreis“. Der entsprechende Antrag wird gestellt. Es ergibt sich, dass eine Markterkundung ausgeschrieben und 8 - 12 Wochen durchgeführt werden muss. Der Antrag ist bis heute (Januar 2021) nicht bewilligt. Sollte er positiv beschieden werden, ist nach dem Bewilligungsschreiben vom Bund ein weiterer Kofinanzierungsantrag ans Land erforderlich. Ein Eigenausbau durch die Gemeinde ist nicht zulässig.

Ein anderes Beispiel: Die Einrichtung eines Accesspoints für WLAN und der Aufbau eines pädagogischen Netzes ist an die Ertüchtigung der Elektrik gekoppelt. Diese Maßnahme hatte der Gemeinderat bereits vor Jahren verabschiedet. Das bedeutete eine Machbarkeitsstudie, Planungen, Ausschreibungen - und ... warten bis heute ...

Fehlende Unterstützung und Beratung

Von vielen Schulen wurden Medienentwicklungspläne bereits abgegeben und vom Landesmedienzentrum genehmigt. Bis heute warten diese Schulen allerdings auf die Umsetzung der dazu notwendigen baulichen und technischen Maßnahmen.

In vielen Fällen scheitert die Fertigstellung der Medienentwicklungspläne auch daran, dass allzu viele Hürden genommen werden müssen. Gerade kleinere Schulen benötigen kompetente fachliche Unterstützung bei der MEP-Erstellung. Den Lehrkräften fehlt meist das nötige IT-Fachwissen und die dafür notwendige Zeit. Gelder werden aber erst nach der Fertigstellung und Genehmigung der Medienentwicklungspläne bewilligt.

Für jeden Förderantrag sind die bürokratischen Hürden zunächst auch von den Schulen zu bewältigen. Bei den Schulträgern und auch den Landes-, Kreis- und Stadtmedienzentren fehlt oft das nötige Personal, um die Schulen bei allen Fragen rund um die Digitalisierung beraten und fachlich-sachlich unterstützen zu können.

Mit der Administration und Wartung neu angeschaffter oder bereits vorhandener Endgeräte sowie der digitalen Infrastruktur an den einzelnen Schulen werden diese sehr häufig allein gelassen. Meist verfügen die Schulen nicht über die finanziellen Mittel, um sich fachlichen Support einkaufen zu können. Lehrkräfte und Schulleitungen sind in der Regel keine IT-Fachleute, auch wenn sie sich mittlerweile aus der Not heraus viel Fachwissen autodidaktisch angeeignet haben.

Die aus dem Sofort-Paket über den Schulträger angeschafften und zur Verfügung gestellten digitalen Endgeräte reichen nicht aus, um alle Schüler*innen damit zu versorgen. Zum Teil sind die Endgeräte auch nicht wirklich geeignet, um beim Online-Unterricht eingesetzt zu werden.

Das mindert sowohl die Motivation der Schüler*innen als auch die der Lehrkräfte. Die Administrierung und Wartung der Geräte muss dann kurzfristig von Lehrkräften oder der Schulleitung übernommen werden ... so diese dazu fachlich in der Lage sind.

Besonders absurd ist, dass das Kultusministerium die Schulen vor Beginn der aktuellen Schulschließungs-Phase darum gebeten hat, Videokonferenzen mit Schülern auf ein Minimum zu beschränken, da befürchtet wird, die Server könnten überlastet werden - was dann ja auch passierte.

Die Erfahrungen der ersten Tage im Fernunterricht nach den Weihnachtsferien haben diese Befürchtungen leider bestätigt.

Umso ärgerlicher ist es, dass es die Verantwortlichen in der Kultusverwaltung in den vergangenen Monaten versäumt haben, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit solche Pannen nicht passieren. Zu guter Letzt aber scheitert der digitale Fernunterricht häufig an der fehlenden häuslichen Infrastruktur der Elternhäuser.

Im ganzen Land fragen sich Schulleitungen und Lehrkräfte:

  • Warum muss jede Schule sich eigene Wege und Möglichkeiten suchen, digitalen Online-Unterricht zu gestalten?
  • Warum gelingt es nicht, eine gut funktionierende Bildungsplattform für alle Schulen des Landes zur Verfügung zu stellen?
  • Warum lässt das Land die Schulen bei dieser großen Herausforderung allein?

Der Vorstand der Vereinigung von Schulleiterinnen und Schulleitern in Baden-Württemberg

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